Stadt(er)forschung mit dem Fahrrad

Wie wir uns durch die Stadt bewegen, prägt auch unsere Wahrnehmung und unser Bild von einer Stadt. Meine Art der Stadt(er)forschung beginnt immer mit dem Fahrrad: das Tempo, die (impliziten) Regeln, die anderen Verkehrsteilnehmer und Mobilitätshindernisse bilden Eckpunkte meiner Beobachtungen. Ich verfolge außerdem die etwas langsame, aber stetige fahrradfreundliche Entwicklung in europäischen Städten, den damit verbundenen Kulturwandel und andere spannende Initiativen, ich mag Ausstellungen wie diese hier und denke, dass etwa Critical Mass eine Form ist, auf die extreme Autofixierung in Städten aufmerksam zu machen. Bis es irgendwann nicht mehr nötig ist.

In den Wallanlagen spielt das Thema Mobilität eine große Rolle, denn die Anlagen sind Durchgangsort für fast Jede*n in Frankfurt. Jeder kennt die Ampelschaltungen, dank derer man sich auf einmal verkehrumtost einsam auf Mittelinseln wiederfindet, jeder kennt Metallkonstruktionen, die zu umschiffen größere artistische Leistungen erforderlich machen und jeder Fahrradfahrer kennt die Schwierigkeit, sich zwischen Baumwurzeln, Schlaglöchern und Kinderwägen den Weg zu bahnen. Und dennoch: Die Wallanlagen sind für Fahhradfahrer wunderbar! Morgens gleicht es darin sogar einer kleinen Autobahn für alle Innenstadtpendler und der abendliche Nachhauseweg ist doch gleich viel angenehmer, wenn dabei ein Stück Grün genutzt werden kann.

Hier ein paar Impressionen von der Fahrradtour am 6.6.2014 – der Ãœberblickstour über die 60 Ausstellungsbeiträge! Vielen Dank an alle Mitradler!

Verpasst und dennoch interessiert?

→ Wer als Gruppe gerne eine Fahrradführung durch die Ausstellung machen möchte, meldet sich hier. Christiane Dubuques Ausstellungsbeitrag in der Bockenheimer Anlage (Nr. 21, Bank am Weiher) zeichnet exemplarisch ihren Arbeitsweg durch die Anlagen nach und gibt ganz persönliche Einsichten in das Thema; Der ADFC veranstaltet am 10. Juli, 18:30 eine Fahrradstadtführung zum Thema Wasserhäuschen (u.a. mit Hubert Gloss) und am 17. September, 18 Uhr gibt der Verkehrsplaner Jochen Ickert mit einer Fahrradtour einen Einblick in seine Sicht der Dinge zum Thema Mobilität. Die Finissage der Ausstellung am 21. September wird ebenfalls eine Fahrradtour, einmal rund um die Anlagen! Alle Termine hier oder hier. Mitfahrer willkommen!

Frankfurter Rendezvous РWem geh̦rt die Stadt?

Was passiert, wenn sich Bankenviertel und Bahnhofsviertel nachts in den Wallanlagen treffen, liebevoll arrangiert von einer Hamburger Zitrone? Ein Frankfurter Rendezvous, ein Feuerwerk nächtlicher Begegenungen entsteht, in dem der Willy-Brandt-Platz viel zu kurz in eine zauberhafte Welt verwandelt wird. Alltag wird Theater und umgekehrt.

Das „Frankfurter Rendezvous“ ist das neue Stück von Schorsch Kamerun (Autor, Regisseur, Sänger der Goldenen Zitronen) mit belebender Musik von Les Trucs,  das gemeinsam mit vielen Frankfurter/innen zu 8 Terminen auf die Straße gebracht wird. Es spielt in den Wallanlagen, genauer: im kleinen Abschnitt der Gallusanlage, zwischen EZB und €-Skulptur, zwischen Straßenbahnschienen und Alice-im Wunderland-Büschen.

Frankfurter Rendezvous, das ist, wenn golden beschildete Polizisten aus der Straßenbahn herausjoggen und im munteren Reigen im „Vorgarten“ der EZB verschwinden. Das ist, wenn die Grenzen zwischen Zuschauern und Bestaunten wechselseitig verschwimmen oder wenn Ãœberwachung zur künstlerischen Praxis umdeklariert wird. Das ist auf jeden Fall dann, wenn ein goldenes Michelinmännchen an der Straßenbahhaltestelle hinreißende Opern zum Besten gibt. Oder wenn Schorsch Kamerun ein fast intimes Livekonzert singt, ohne dass die Besucher es merken. Es ist auf jeden Fall ganz feines, ausgezeichnetes Theater, weil es wahrhaftig die Stadt umdeutet, Möglichkeitsräume eröffnet und zeigt: wie könnte die Stadt sein, wenn sie nicht so wäre wie sie ist. Am Ende wünscht man sich, es würde noch lange so weitergehen.

Bezeichnenderweise basiert die Handlung des Stücks auf dem komplexen Stoff der Parzivalsage: Der unwissende Held trifft im Lauf der Nacht auf unterschiedliche Frankfurter, zwischen Rotlichtmilieu und Sachsenhausener Nostalgie, zwischen Bankenkritik und Cashanova-Clowns. Unser Stadtlabor-Projekt „Grenzverhandlungen“ gibt übrigens eine ausgezeichnete Hintergrundkulisse ab und ihre Macher sind ebenfalls im Stück integriert. Am Ende ist Parzival verwirrt, geläutert und immer noch auf der Suche nach dem heiligen Gral – ihm wird aber Mut gemacht durch einen großen, singenden Goldbarren. Das Stück ist ein Pladoyer für mehr Mut, Freiheit, Spaß und Repolitisierung der Plätze dieser Welt. Da kann auch mal der Willy-Brandt-Platz in einem Atemzug mit Taksim und Maidan genannt werden, es ist ja auch ein bißchen ironisch gemeint.

Und als würde nicht sowieso schon alles wie die Faust aufs Auge passen: Wallanlagen, Theater und Stadt-Erforschung ist das Theater auch noch partizipativ – das Stück basiert auf Interviews mit Frankfurtern, die von ihren Erfahrungen mit dem Ort, mit der Stadt berichten – und einige von ihnen spielen auch mit.

Alle Termine hier – Unbdingt hingehen!

Zum hr-Interview mit Schorsch Kamerun zum Stück hier entlang.

Und hier der Trailer:

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FRANKFURTER RENDEZVOUS // Trailer from Katharina Duve on Vimeo.

Wie romantisch sind die Wallanlagen?

„Zurück zur Natur“ –  berühmtes Diktum von Jean-Jacques Rousseau gilt als eine gedankliche Grundlage für die Umwandlung der Wallanlagen – von Mauern zu Gärten. Dieses  Motiv war Ausgangspunkt für angewandtes Romantisieren mit Björn Wissenbach – im Rahmen des großen Literaturfestivals „Was wir suchen ist Alles“ im Literaturhaus Frankfurt ging es raus in die urbane Natur. Der wohl romantischste Bewohner der Wallanlagen ist Anton Kirchner. Seine Büste steht in der Eschenheimer Anlage. Der Gelehrte verfasste 1818 die „Ansichten von Frankfurt am Main und seiner Umgegend“, in denen er auch die Wallanlagen beschreibt.

Über die Obermainanlage schreibt er 1818: „Wenn man sich am Obermainthor links wendet, so trifft man auf ein unscheinbares Gebüsch, welches keinen so reizenden Lustweg vermuthen lässt. Ist man eingetreten, so zeigen sich gleich zwei sanftgebogene Wege. Der eine links führt durch einen offenen mit mannigfachen Bäumen angepflanzten Hain, wo links eine gut geordnete Verpflanzung den ehemaligen Wollgraben künstliche deckt, rechts aber dem Auge durch hohe Bäume eine herrliche Aussicht  nach dem sogenannten Fischerfelde und der entfernteren Gegend bis Hanau bleibt. Gerade vor uns scheint es, wolle das dichte Gehölz uns den Weg versperren, aber bei dem Eintritte in das Gebüsch wird man von einem prachtvollen Salon von Hängebirken (Betula alba pendula) überrascht, der ungeregelt und mit Gruppen von Rothtannen, (Pinus picea) vermischt ist, die hier eine gute Wirkung hervorbringen. Zur linken Seite zeigt sich dann eine dichte Verpflanzung von seltnen Nadelhölzern, aus welcher auf vier Säulen ein leerer Halbtempel hervorragt. Hier ruht, seinem Wunsche gemäs, der Stifter dieser Anlagen von einem menschenfreundlichen und thätigen Leben aus. Freunde wollen ihm noch ein Denkmal setzen, und Dichter haben mit einer Grabschrift gedroht. Aber Denkmal und Grabschrift stehen ja schon da; stehen an der großen Straße des Lebens, wo täglich hunderte vorüber gehen, und mit gerührtem Herzen den Namen des Geschiedenen lesen. – Diese freundlichen Gänge, welche die Müden in ihren kühlenden Schatten rufen, sind sie denn nicht das Ebenbild seines Gemüths, sind sie nicht der Abdruck seiner Seele?“
Kirchner, Anton: Ansichten von Frankfurt am Main, Frankfurt 1818, S. 20f

Gemeint ist mit der letzten romantisierenden Beschreibung das Grab von Jakob Guiollett, dem die Umwandlung der Wallanlagen zu verdanken sind. Ihm kam die Ehre zuteil, nicht auf dem Friedhof, sondern in den Wallanlagen – seinem Lebenswerk – begraben zu sein.  Sein Denkmal steht in der Taunusanlage.

Wichtigstes Merkmal der romantischen Wallanlagen ist der gärtnerische Grundgedanke: Der Stadtgärtner Sebastian Rinz, der in der Friedberger Anlage zu bewundern ist, legte die ersten Gärten und Promenaden 1808-1812 nach dem Vorbild des Englischen Gartenstils an. Wie romantisch sie heute noch empfunden werden, ist umstritten – je nach Nutzertyp.

Wer mehr Romantik möchte – das Festival „Was wir suchen, ist Alles“ dauert nur noch bis morgen! Hingehen!

Von Romantikern, Märchernerzählern und Urbanisten

Die kommende Woche sollte sich keiner entgehen lassen:

Wir starten romantisch mit einem Spaziergang am Literaturhaus (Di, 3. Juni, 17 Uhr) mit Bj̦rn Wissenbach, der uns auf die Reise durch die Idylle der Wallanlagen des 19. Jahrhunderts begleitet Рmit all seinen Mythen, Kunstwerken und heimlichen Treffpunkten. Infos hier. Wer davon nicht genug bekommen kann, kann ein ganzes Festival haben!

Mythisch geht es weiter (Mi, 4. Juni, 18 Uhr) im Maurischen Haus – das herrlich orientalistisch verschörkelte Kleinod an der Eschenheimer Anlage darf besichtigt werden – die Bewohner und der Verein evanda – Leben mit Parkinson e.V.  stellen sich vor –  erzählt werden außerdem maurische Märchen von Irene Glueck. (Blumenstr. 2)

Für alle Stadtpiraten gibt es ab dem 5. Juni ein Angebot, das keiner ablehnen kann: Schorsch Kamerun inszeniert ein partizipatives Theaterstück in den Wallanlagen. Gehts noch? Ja – und zwar nur gemeinsam mit Lokalpatrioten, Bankern und Occupisten entsteht eine „Oper zwischen den Fronten“ – Auf keinen Fall entgehen lassen. (Alle Termine hier)

Und wer dann vielleicht wissen will, wie so etwas überhaupt funktioniert: so ein STADTLABOR – der Schmelztiegel unterschiedlichster urbaner Interventionisten – der kann sich auf seinen Drahtesel schwingen und bei der „Fahrradtour mit Kuratorin“ mitfahren (Fr. 6. Juni, 16 Uhr, Start: Eschenheimer Anlage, Flemings Hotel) und sich ausgewählte Ausstellungsbeiträge ansehen!

Zum Wochenausklang darf entspannt werden: Peter Seidel lädt ein zu Wortakrobatik – eine Lesung mit Musik führt unterhaltsam auch durch die Wallanlagen. Dazu der Kommentar der Gänsekieler Nachrichten: So muss Text. (Sa., 7. Juni, 20 Uhr, Katakombe Kulturhaus)

Alle (ausführlichen) Infos gibts es auch hier: Kalender

Viel Spaß!

 

PS: Ach ja, und Montags gehen wir immer joggen in den Wallanlagen: Immer 17:30 Uhr Start am historischen museum* Falls jemandem langweilig wird.

 

Stadtpflanzer bei der Arbeit

Pflanzaktion am Ende der Friedberger Anlage, vor der Skulptur „Metaphorik eines emotionalen Zustands“ am 21. Mai 2014. Eingepflanzt wurde Schafgarbe, Salbei, Thymian (in memoriam an C. Thymian), Rosmarin, Lavendel, Minze, Melisse, Gänseblümchen, Grashalme und Wiesenblumensamen.

Im Sinne des Titels der Skulptur ist das Pflanzen ein künstlerischer Akt, der sich unmittelbar auf das Werk und dessen Standort und Umgebung bezieht. Pflanzen in Schotter ist eine Parabel, ein Gleichnis. Eine Annäherung an die Begebenheit, ein Versuch Bedingungen zu verstehen und mit diesen Bedingungen umzugehen. Als ein Zwischenergebnis könnte ein Motiv entstehen, das einer flüchtigen Erscheinung gleichkommt.

Das am 21. Mai entstandene Motiv war ein „Feld Bild“, ein klassisches Gemälde mit dem Titel „Stadtpflanzer bei der Arbeit“ von 1914-1920, „Großstadt Expressionismus“.

 

 

Um das vergangene, sehr kurze Motiv in ein zukünftiges Motiv zu wandeln – um, im Sinne der Idee von „Stadtlabor unterwegs“, Partizipation zu erreichen, sind in den kommenden Monaten alle Passanten aufgerufen, die Pflanzen zu wässern.

… wie funktionierte die Idee mit dem Tamagotchi noch?

Ob ein nachhaltiges, lebendiges Motiv entstehen wird … in progress … ! (C.F.Ch.H.)

Stadtlabor Wallanlagen ist eröffnet!

Die Ausstellung ist eröffnet! Am vergangenen Sonntag wurde die Open-Air Schau „park in progress“ im Chagallsaal des Schauspiel Frankfurts eröffnet – hier einige Impressionen von der Veranstaltung! Vielen Dank an alle, die daran mitgewirkt haben – wir wünschen allen eine schöne Ausstellungszeit! Zum vielseitigen Rahmenprogramm geht es übrigens hier entlang oder hier entlang! Viel Spaß!

Die Besucher erwarten in der über 5km langen Schau 60 Ausstellungsbeiträge von rund 100 Frankfurter/innen! Von historischen oder dokumentarischen bis hin zu künstlerischen  Perspektiven reicht die Bandbreite der Beiträge im Park. Markiert wird die Ausstellung immer durch leuchtend gelben Stangen, die im grünen Park schwer zu übersehen sind. Eine Übersicht über alle Beiträge gibt es in einer Print-Wanderkarte oder einer Smartphone-App.

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Die Wanderkarte gibt es im historischen museum, im Jüdischen Museum, im Literaturhaus oder im Schauspiel Frankfurt und weiteren Orten rund um die Wallanlagen!